Kataloge

Graphische Arbeiten

Graphik, insbesondere die Zeichnung, ist ein Schaffensbereich Erich Grüns, den die Freunde seiner Kunst sehr zu Unrecht nur selten zu Gesicht bekommen. In seinen jährlichen Ausstellungen dominiert die Farbe - ein Medium, mit dem er virtuos umgeht. Höhepunkte auf diesem Gebiet stellen seine Aquarelle dar, in die er Stimmungen und Gefühlsnuancen durch expressive Gestaltung pointiert hineinzulegen vermag. Zahlreiche Zyklen wie "Altes und Neues Testament", das finnische Nationalepos "Kalevala" sowie Folgen zur Mythologie verschiedener Völker sind weitgehend in dieser Technik entstanden und auch von dritter Seite interpretiert worden. Ein aufmerksamer Blick auf seine Aquarelle läßt die unterschiedlich starke Bindung an die Zeichnung erkennen, die immer dann besonderes Gewicht erhält, wenn der Künstler spezifische Sachverhalte akzentuiert darstellen will. Als angemessenes Arbeitsinstrument dient ihm dabei der Aquarellstift.

Als eigenes Medium führt die Zeichnung bei Erich Grün gewissermaßen ein Schattendasein - nicht zuletzt deshalb, weil er die Blätter nur selten zu autonomen Kunstobjekten aufwertet, die er auch der Öffentlichkeit zugänglich macht. Dem widerspricht nicht, daß Grün viele seiner Zeichnungen und Skizzen signiert und ihnen damit einen gewissen Charakter des Endgültigen verliehen hat.

Daß er sein zeichnerisches Werk aber nicht völlig verborgen hielt, belegt allerdings sein Katalog von 1987, in dem Susanne Kämmerer auch den Zeichnungen einen Abschnitt widmet. Im ganzen gesehen ist die Zeichnung jedoch in der publizistischen Begleitung seines künstlerischen Œvres unterpräsentiert: Sie wurde zwar nicht übersehen, trat aber doch deutlich hinter den augenfälligeren explosiven Farbgestaltungen Grüns zurück.

Für den Künstler selber spielt die Zeichnung, die er keineswegs als Stiefkind seines Schaffens sieht, eine besondere Rolle im Entstehungsprozeß seiner Arbeiten. Grün ist kein Plein-air-Maler! So besitzen seine Zeichnungen u.a. als Ausgangspunkte für Ölbilder und Aquarelle elementares Gewicht. Die erkennbare Spontaneität des Schaffensvorganges verleiht diesen Werken einen besonderen Vorzug. Diese Skizzen lassen mitunter noch klarer als die Aquarelle die zupackende Handschrift Grüns erkennen, sein Herantasten an das Wesentliche, das die Grundaussage des Werkes bestimmt. Skizzen vermitteln einen direkten Zugang zum Blick des Künstlers, und sie offenbaren, linear oft zum Minimum reduziert, in vielen Zeichnungen Grundüberlegungen des Kompositorischen. Bei Landschaften deuten dabei wenige Striche Ufer, Höhenzüge oder Wege an. Dennoch wirken sie nicht abstrakt; so urteilte S. Kämmerer: "Die Elemente Ufer und Land, Meer und Küste, Seen und Berge sind zeichnerisch so zusammengefügt, daß das, was dargestellt ist, immer klar erkennbar ist, obwohl die Einzelteile eines Bildes eigentlich nie gegenständlich sind. Auf diese Weise vollführt der Maler eine interessante Gratwanderung, die bei den Aquarellen durch die Formgebung durch Farbe noch deutlicher zutage tritt." Der Übergang von der Skizze bis hin zur ausführlicheren Zeichnung ist bei Grün fließend; dies liegt natürlich auch daran, daß seine spontanen Skizzen und Zeichnungen vornehmlich für den Eigenbedarf bestimmt waren und zu den verschiedensten Zwecken der Erinnerung dienen sollten. Will man sich aber einen Gesamteindruck über den Künstler verschaffen - und viele seiner Freunde wollen dies -, so dürfen diese wichtigen Kunstäußerungen nicht fehlen.

Erich Grün ist lange Zeit seines Lebens als Pädagoge in der Jugendausbildung tätig gewesen. Die künstlerische Erziehung der jungen Generation lag ihm dabei genauso leidenschaftlich am Herzen wie die Entwicklung seiner eigenen künstlerischen Kontur. Das eine mag sich in einer Arbeitswut dokumentieren, die ihn während der Gestaltung seiner Zyklen mitunter erfaßt, das andere erkennt man in der Geduld, mit der er versucht, mit einfachen elementaren Mitteln Grundsätzliches, Charakteristisches, Unabdingbarkeiten, Gefühlsempfindungen und Regungen empirisch begreifbar zu machen. Detailgetreue Sachzeichnungen sind dem Kunstwollen Erich Grüns fremd, da dies nicht das Wesentliche eines Sujets allein beinhaltet. "Ich male nicht vor der Natur, erst tags darauf oder spät zu Hause, damit ich nicht zu viele Einzelheiten mitnehme", antwortete er auf eine diesbezügliche Frage, womit das Gewicht der Zeichnung im Rahmen des schöpferischen Aktes von ihm selbst angedeutet ist. Anhand der fast unüberschaubaren Menge von Einzelskizzen, Studien und Arbeitsblöcken läßt sich jedoch der zeichnerische Beitrag des Künstlers sichtbar nachvollziehen. Zahlreiche Skizzenbücher, die ständigen Reisebegleiter seiner ausgedehnten Urlaubsreisen, bilden hierfür eine ergiebige Quelle. Sie offenbaren sich quasi als dokumentierende Begleiter und Leitfaden seines Künstlerlebens: 1968 Schweden, 1969 Ile de France, Langue-doc, Côte d'Azur, 1970 Paris, Balearen, Schweden, Finnland, Norwegen und Dänemark, 1971 Finnland und Rußland, 1972 Finnland und Malta, 1973 Paris, 1975 Norwegen, 1976 Norwegen mit Lappland, 1977 Schweiz und Finnland, 1979 Markgräfler Land und 1987 Donaulandschaften mit Wien - damit sind nur einige der Zeichenblöcke genannt, die zum Teil randvoll ausgenutzt sind.

Diese Zeichenblöcke besitzen Tagebuchcharakter, auch wenn nur eine geringe Anzahl der Blätter bezeichnet oder gar datiert ist. Es sind Momentaufnahmen, reduziert auf das dem Künstler Wichtige, das Wesentliche. Dabei spielt das Zeichenwerkzeug keine Rolle. Es war eben das, was er gerade zur Hand hatte: ein roter oder blauer Kugelschreiber, ein spitzer oder breiter Filzstift.

Es wäre verfehlt, diese Blätter nach speziellen Stilmerkmalen - die durchaus erkennbar sind - unterscheiden und beschreiben zu wollen. Eine Ausnahme bildet die zupackende Manier des Künstlers, auf die bereits hingewiesen wurde.

Schon früh ist in Erich Grüns Werken diese zupackende prägnante Handschrift zu erkennen. Dies gilt - wie bei den Aquarellen - auch für seine Zeichnungen, soweit sie seit den sechziger Jahren in stattlicher Anzahl vorliegen.

Eine Sonderrolle spielen demgegenüber die wenigen frühen Arbeiten. Während seiner Kriegsgefangenschaft auf Malta sind z. B. - mangels anderer Materialien auf Toilettenpapier - zarte Gebäudezeichnungen entstanden, die einen völlig anderen Zeichner vorstellen, als er uns aus dem bisher Gesagten gegenübertritt. Ein Kapitel für sich bilden dabei die in dieser Zeit geschaffenen Karikaturen Charakterskizzen von Befehlshabern und Soldaten der Siegermacht. Diese hier zutage tretende Begabung erleichterte ihm den Zwangsaufenthalt auf Malta erheblich und zeigte bereits damals seine Fähigkeit, das Entscheidende und Prägnante eines Sujets in wenigen charakteristischen Zügen auf ein Blatt zu bannen.

Davon abgesehen, hat sich aus der frühen Nachkriegszeit nur wenig zeichnerisches Material erhalten, doch zeigt das Wenige, daß Grün damals noch erheblich größeren Wert auf das Beiwerk legte, seien es auch nur die Schraffuren und Nuancen der Schattierung, mit denen die unterschiedlichen Raumstrukturen fixiert sind. Sie aber geben diesen Zeichnungen eine eigentümliche atmosphärische Stimmung, die jene Epoche gut widerzuspiegeln vermag.

Abgesehen von diesen frühen Episoden scheint eine chronologische Gliederung oder Differenzierung des zeichnerischen Œvres von Erich Grün unangemessen. Sie würde dem Kunstwollen, das unausgesprochen hinter allen diesen Arbeiten steht, nicht gerecht. Ausnahmen mögen hierbei die Vorzeichnungen zu den verschiedenen Zyklen bilden, die aufgrund ihrer Aufgabenstellung andere Stilcharakteristika aufweisen und mitunter kompositorische Vorstudien beinhalten. So ist es nur natürlich, daß sich die Zeichnungen und graphischen Arbeiten in thematische Bildkomplexe gliedern.

Es ist oft betont worden, daß der Mensch im Mittelpunkt des Schaffens von Erich Grün steht. Dies mag auf viele Künstler zutreffen, doch zeigen die Arbeiten Grüns eine spezifische Note. Es sind die Gesichter, die in unübersehbarer Fülle einen Großteil seiner Zeichnungen beherrschen. Erich Grün schaut seinen Mitmenschen nicht nur ins Gesicht, er versucht das darin Verborgene deutlich zu machen. Haben Porträts noch ihre eigene Aufgabenstellung, so enthüllen namentlich die Wiedergaben anonymer Gesichtszüge gedankliche Hintergründe oder Charaktermerkmale der Dargestellten. Gerade hierfür scheint eine Serie biblischer Köpfe zu stehen, die Grün 1973 in Folienlithographie geschaffen hat. In diesen Gesichtern, die als "Schriftgelehrter", "Paulus", "Pilatus" usw. personifiziert sind, zeigen sich - scharf und überspitzt skizziert - die jeweiligen Charaktereigenschaften. "Verschlagenheit", "Brutalität", "Skepsis", "Milde", "Unentschlossenheit" und ähnliches könnte berechtigterweise genausogut diesen Blättern als Bezeichnung dienen. So weisen sich diese Köpfe als Allegorien solcher schlagwortartigen Begriffe aus. Anders seine Skizzen, die in seinen Arbeitsblöcken häufig landschaftsgebundene Mentalitäten erkennen lassen. Das wird besonders dann erkennbar, wenn es sich um Gruppen oder einzelne Personen im Rahmen ihrer Arbeit handelt. Der Winzer oder die Weingärtnerin im Markgräfler Land mögen hierfür als Beispiele stehen, nicht minder die russischen Menschenstudien, seien es einfache Dorfbewohnerinnen in lockerer Gruppierung, Soldatenansammlungen oder Popen, bei denen die Meditationskraft russisch-orthodoxer Frömmigkeit zum Ausdruck kommt.

Im allgemeineren Rahmen der Menschenbilder vermitteln seine Milieustudien einen besonderen Reiz. Sie dokumentieren die Fähigkeit des Künstlers, plötzliche Eingebungen milieugetreu aufs Papier zu bannen. Welche Unterschiede sich dabei - trotz großer zeitlicher Nähe - ergeben können, belegen die Szenen auf dem Freiburger Wochenmarkt oder die Situationsschilderungen im Weinkeller. Während die Marktszenen ihre Ausdruckskraft aus sparsamster Zeichendiktion gewinnen, betonen wirre Strichfolgen das Atmosphärische der Kellerschänke, ohne die Grundkonturen dabei zu verunklären.

Eine Sonderheit, ja eine geradezu liebenswerte Randerscheinung in Grüns zeichnerischem Schaffen stellen in diesem Kontext seine "Gesichtsspielereien" dar. Selten handelt es sich dabei um Arbeiten, die einem bewußten schöpferischen Prozeß entstammen; vielmehr entstehen diese "Kopfkaskaden" und vergleichbare Gesichteransammlungen meist als unbewußte Begleiterscheinung verschiedener Gespräche und Telefonate, womit sie stärker vom Unterbewußtsein geprägt sind. Dies läßt sich unschwer an dem benutzten Arbeitsmaterial - alten Vordruckblöcken - erkennen. Wer aber weiß, wie viel dem Künstler der exakte Punkt oder Strich zur klaren Charakterisierung eines Typus bedeutet, kann sich diese Spielereien, die Grün dann auch gelegentlich zu genaueren Ausarbeitungen verwendet, aus seinem Schaffensprozeß nicht fortdenken. Sie sind einfach Teil seines künstlerischen Erscheinungsbildes.

Neben dem Menschen bilden Landschaften als eigenes Genre einen weiteren Schwerpunkt im zeichnerischen Œuvre Erich Grüns. Seine Skizzenblöcke sind randvoll mit Eindrücken, die er auf seinen ausgedehnten Reisen in sich aufnahm. In diesen tagebuchähnlichen Notaten spiegeln sich häufig seine schöpferischen Phasen. Kaum ein Weg, bei dem ihn nicht der Block begleitet! So sehen wir Landschaften, Veduten und mitunter Stadtansichten, die - wie mit einer gefilterten Kamera, die alles Unwesentliche zur Seite läßt - Spontanaufnahmen für seine Erinnerung festhielten. Zur notwendigen Bestimmung der Topographie genügen ihm im allgemeinen wenige Andeutungen: Ein Baumstamm vor dem Flußufer der Schlei, die markanten Umrisse holländischer Windmühlen und Hebebrücken, Wacholderbüsche in der Lüneburger Heide, Schiffe vor der Giebelfront eines holländischen Hafens oder die pyramidenartig ansteigenden Wand- und Dachflächen eines Gebirgsdorfes nahe dem Corner See. Bedingt durch seine Herkunft, hat es Erich Grün besonders oft in den Norden gezogen, wo stille Wald- und Seenlandschaften die erhabene Natur Skandinaviens dem Betrachter nahebringen - aber auch endlose Einsamkeit, wenn zum Beispiel ein kleines Schiff zwischen spärlich angedeuteter Ufervegetation den Strom entlanggleitet. Tiefe Ruhe und Frieden atmen diese Skizzen von wald- und felsgesäumten Buchten; sie vermögen einen absoluten Kontrapunkt zu den zuvor erwähnten Gesichtsspielereien zu setzen. Ganz anders die Atmosphäre der südländischen Zeichnungen: Auch ohne Farbe vermag Erich Grün den blauen Himmel oder die strahlende Sonne südlicher Breiten in seinen Skizzen zu suggerieren - seien es eine Kakteenanlage in Monaco, die Palmensilhouetten von Teneriffa, die charakteristischen Windmühlen von Formentera oder ähnliches.

Wenig hat sich von den schlichten Vorzeichnungen Erich Grüns zu seinen Aquarellzyklen erhalten. Diese Blätter dienten, wie eingangs erwähnt, mehr kompositionellen Interessen. Als Beispiele mögen die Skizzen zur griechischen Mythologie dienen. Wer die Skizze mit dem ausgeführten Original vergleicht, sieht, worauf es dem Künstler dabei ankam. Es handelt sich bei diesen Blättern um Grundakzente, die Grün dann später ins Aquarell übersetzte, wie bei Hermes, der die Rinder seines Bruders Apoll stahl, die Abwendung der Rinderköpfe und die Rückenansicht des Diebes mit dem Stab in steiler Anordnung (Katalog Griechische Mythologie, Seite 85). Bei der Göttin Hera war es sicherlich das künstlerisch verlockende Spiel eines weiblichen Aktes mit den ausgebreiteten Flügeln des "Zeus-Kuckucks".

Eine Besonderheit im Œuvre Erich Grüns stellen seine Phantasien dar, die seiner Vorliebe zum Vor- und Urzeitlichen, zur Mystik, zum Mythischen, Dämonischen bis hin zum Göttlichen entstammen. Der Künstler liebt, kurz gesagt, all das, was in nicht klar erfaßbarer Form unsere Emotionen und Phantasien anregen kann. Vor diesem Hintergrund entstanden auch einige seiner Zyklen zu den verschiedenen Mythologien und dem finnischen Nationalepos Kalevala. Einige wenige Zeichnungen und Skizzen aus seinen Arbeitsblöcken mögen dies verdeutlichen: neben seinen "Phantasien" sind es vor allem die Zeichnungen der Erd- und Berggeister, die 1972 in Finnland bzw. 1977 in der Schweiz entstanden. Gerade mit den letzteren knüpft Grün an Traditionen an, die vor allem in der altniederländischen Malerei - bei Bouts und Matsys gepflegt wurden, zu einer Zeit, da im volkstümlichen Rahmen z.B. den Bergen dämonische Kräfte zugeschrieben wurden.

Der Katalog klingt aus mit einigen besonders großformatigen Einzelblättern, dem stimmungsbetonten Holzschnitt der Fischdampfer vor Island oder dem Place Fürstenberg in Paris, der breitformatigen Milieustudie von einem Pariser Wochenende oder den Aktzeichnungen. Diese Arbeiten spannen noch einmal den weiten Bogen über Grüns graphisches Werk.

Hasso von Poser und Gross-Nädllitz

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"Die Fähigkeit zu trauern"
Nr. 2164
undatiert
Aquarell
37,5 x 23,7 (Rahmen: 50 x 40)


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