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Zeichnungen, Aquarelle, Ölbilder

Menschen, Mythen, Landschaften, Fabelwesen, eingebettet in ein immer wieder neues, sich nie erschöpfendes Zusammenspiel von Farben, das ist die Welt des Erich Grün. Sie wird vom Aquarell bestimmt. Aber auch Zeichnungen und Ölbilder gehören zum Metier dieses Malers. Auf den folgenden Seiten führt uns Grün durch einen repräsentativen Teil seines Lebenswerks, das von einzelnen zeichnerischen Studien bis zu den Zyklen "Altes Testament", "Neues Testament", "Kalevala" und "Stufen der Evolution" einen großen Bogen spannt.

Will man die künstlerische Entwicklung Grüns, die auch zugleich eine geistige ist, thematisch nachvollziehen, sollte man mit der Betrachtung der Zeichnungen beginnen. Hier werden wir nämlich bereits mit all den Anliegen des Malers bekanntgemacht, mit denen er sich im Folgenden immer wieder und mit zunehmender Intensität auseinandersetzt. Da sind zunächst einmal seine Menschen, denen er mit Vorliebe in die Gesichter schaut. Auffällt, wie oft er dabei geschlossene Augen sieht, Ausdruck von Müdigkeit, Leid und Schmerz. Für Grün ist dies offensichtlich ein dominierender Gefühlszustand, aus dem sich der Mensch aber gleichzeitig zu befreien sucht. Allerdings wohl ohne viel Erfolg. Man sehe sich in diesem Zusammenhang die Zeichnung auf S. 16 an. Sie ist in ihrer sparsamen Linienführung und gleichzeitig erreichten Intensität besonders eindrucksvoll. Hier sitzt einer vor einer leeren Flasche, Müdigkeit und Enttäuschung über die Unmöglichkeit, Glück wenigstens im Alkohol zu finden, in Gesicht und Haltung gezeichnet. Ein anderer Versuch, Kummer und Leid zurückzulassen, wird in der Zeichnung auf S. 17 vorgestellt. Wie ohne weiteres erkennbar ist, hat sich hier eine Figur von der symbolisch mit bäuerlichen Kopftüchern versehenen Gruppe der gedrückten Jedermanns gelöst und mit einem herrischen

Gesichtsausdruck und einer Uniformmütze versehen. Somit wird die Annahme signalisiert, daß der dem Elend entkommen kann, der sich auf die Seite derer stellt, die Elend verursachen. Für Erich Grün ist dies allerdings ein Trugschluß, unmißverständlich durch die Aquarellgruppe "Ohne Worte" vor Augen geführt. Es gibt kein Entkommen. Jeder unterliegt den gleichen Gesetzmäßigkeiten.

Interessiert sich Grün, der ja biblische Zyklen gemalt hat, eigentlich auch für Menschen, die ihre Heilserwartungen durch Ausübung religiöser Handlungen zu erfüllen suchen? Die Zeichnung auf S. 18, die Menschen in Anbetung zeigt, wirft eine solche Frage zumindest auf. Allerdings ist die Beobachtung hier gegen Grüns sonstige Gewohnheiten sehr distanziert gehalten. Wir sehen nur Rücken -und die aus ziemlicher Entfernung. Bei der Betrachtung der biblischen Zyklen wird dann deutlich, daß des Malers Interesse einzig christlichen Inhalten gilt. Die institutionalisierten Ausdrucksformen greift er nicht wieder auf.

Was die zeichnerischen Landschaften anbelangt, so kann man hier, auch ohne das für diesen Maler so wesentliche Element der Farbe, seine technischen Charakteristika ganz deutlich ausmachen. Die Elemente Ufer und Land, Meer und Küste, Seen und Berge sind zeichnerisch so zusammengefügt, daß das, was dargestellt ist, immer klar erkennbar ist, obwohl die Einzelteile eines Bildes eigentlich nie gegenständlich sind. Auf diese Weise vollführt der Maler eine interessante Gratwanderung, die bei den Aquarellen durch die Formgebung durch Farbe noch deutlicher zutage tritt.

Vor dem Übergang zu den Aquarellen und Ölbildern sei noch auf zwei Zeichnungen, S. 16 und S. 20, hingewiesen, die beide in Grüns Fabelwelt führen. Das eine in die bedrohliche der Fratzen und Dämone, das andere in die völlig schwerelose von Humor und Phantasie. Bemerkenswert ist hierbei, wie der Maler das Fratzenhaft-Dämonische aus dem menschlichen Antlitz entstehen läßt, was auch eine Ausdrucksform des Mißtrauens gegenüber der Wesensbeschaffenheit des Menschen ist.

In Anlehnung an die Zeichnungen sollte man auch bei der Betrachtung des großen Blocks der Aquarelle thematisch vorgehen. In diesem Sinne bieten sich die ersten Bilder dieser Gruppe gemeinsam mit denen aus dem Zyklus "Neues Testament" an. Hier greift Grün das Thema vom menschlichen Leid wieder auf, indem er es an einen wesentlichen Inhalt des Christentums, nämlich den Leidensweg Christi und die dadurch beabsichtigte Erlösung der Menschheit, anlehnt.

Wiederholt betrachtet der Maler die Christusfigur am Kreuz, so als könne er es nicht fassen (S. 62). So viel Schmerz so geduldet! Und der Mensch? Versteht er Ursache und Wirkung dieses Leids? Des Leids überhaupt? Der Maler bezweifelt das. Das Bild auf S. 24 drückt diesen Zweifel mit meisterlichen Darstellungsmitteln aus. Um den Gekreuzigten sind zwei Gruppen verteilt. Die eine tritt Mensch für Mensch in seinen Körper hinein, identifiziert sich also mit ihm, nimmt seinen Weg an. Die andere steht vor dem Kreuz auf Distanz. Repräsentativ für diese Gruppe sieht uns ein Gesicht an. Es ist finster, verschlossen, abweisend. Für Erich Grün ist es diese zweite Gruppe, die für uns alle schicksalbestimmend ist. Folglich geht die Menschheit den Weg der anschließenden Bilder, den Weg der gegenseitigen Vernichtung, des Krieges. Menschen sterben dabei allerdings nicht wie Christus. Menschen sterben schreiend mit emporgereckten Händen, denen sich nichts und niemand entgegenstreckt. Menschen schließen oder bedecken die Augen voll von Entsetzen vor dem, was sie angerichtet haben (S. 24), oder, um gar nicht erst sehen zu können, was sie tun. Oder aber sie schweigen (S. 25), und darin liegt auch Blutvergießen.

Gelb und Rot ist für Grün die Verheerung. Das Sterben findet in den Farben des Feuers und des Blutes statt. Die Kulmination aber aller menschlichen Vernichtungssucht findet für den Maler wohl symbolisch in der Golgatha-Szene statt (S. 62). Dieses Bild ist auch gleichzeitig einer der künstlerischen Höhepunkte in seinem Werk. Man beachte, wie hier mit dem Verhältnis von Geschehen und Wirkung umgegangen wird. Die Hinrichtungsstätte selbst ist ganz klein gehalten, über ihr aber wölbt sich ein riesiger glühender Himmel, ein Feuerschein, als brennten hier alle Scheiterhaufen der Welt. Dieser Maler empört sich, und man nimmt es ihm ab.

Bei aller Eindringlichkeit der Darstellung, wenn es um Leid und Vernichtung geht, hat Grün in den letzten Jahren doch nicht ausschließlich zu Zyklen gegriffen, um uns immer wieder die Verfahrenheit der menschlichen Existenz an sich vor Augen zu führen. Sie dienen sicher vor allem auch als Mittel, die künstlerische Auseinandersetzung mit der Bedingtheit eines jeglichen Endes, also auch des Todes und der sich daran knüpfenden Notwendigkeit eines sich permanent erneuernden Schöpfungsprozesses, zu führen. An diesem ist ja der Maler durch sein Schaffen sehr wesentlich beteiligt. Mit jedem Bild beginnt ein solcher Prozeß. Soll er fortlaufen, muß jede Beendigung eines Werkes den Beginn eines neuen nach sich ziehen. Die Zyklen sind ein großer Rahmen für diesen Vorgang, der sich auf das Wesen der Kunst wie das des Lebens bezieht. Die Geschichte der Schöpfung ist dann also auch die Geschichte der Kunst. Indem Grün Schöpfungsgeschichten malt, malt er auch sein eigenes Werden und Sein.

Es wäre müßig zu fragen, woran dieser Maler denn nun eigentlich glaubt. An das Christentum, an die Evolution, an Mythen wie die des Kalevala? Er glaubt an die Unabdingbarkeit der Schöpfung, darauf kommt es an, und er glaubt, daß sie zyklisch verläuft, d.h., daß ein

Anfang immer aus einem Ende erwächst. Dazu kann man das Bild des Evolutionszyklus (S. 43) mit "Golgatha" (S. 61) vergleichen. Urknall und Vernichtung haben beide ein gelbglühendes Zentrum, sind also einen Moment lang deckungsgleich.

Der Großteil der hier zusammengestellten Bilder aus "Stufen der Evolution" befaßt sich mit der Entwicklung des ersten Lebens im Wasser. Von einem sintflutartigen Chaos, in dem sich hier und da schon das Leben als kleiner Leuchtpunkt ankündigt (S.44), über ein versuchtes, aber noch ganz formloses vielfarbiges Zusammenspiel von Erde und Wasser (S. 47) vermehren sich die Kleinlebewesen, bis es zu dem Punkt kommt, wo das Meer zugewachsen ist und erkennbar Säugetiere entstehen (S. 52). Am stärksten fällt von den Evolutionsbildern allerdings das auf S. 51 ins Auge. Hier läßt Grün nämlich einen Menschen im Wasser entstehen. Unverkennbar ist die Parallele zum Kalevala (S. 54), wo ebenfalls ein Menschenkopf im Wasser zu sehen ist. Dem finnischen Schöpfungsmythos entsprechend, gehört dieser Kopf sicher dem Väinämöinens, der von der Wassermutter Ilmatar nach einem 30jährigen Gebärprozeß, während dessen sie auch einige Inseln und Küsten schuf, ins Meer hineingeboren wurde. Dort schwamm er 8 Jahre herum, bis er sich endlich an einem Stück Land aus dem Wasser ziehen konnte. Da sah er dann zum ersten Mal Sonne, Mond und Sterne und erlebte so -durch dieses Einsetzen seiner Sinneswahrnehmungen - erst seine eigentliche Menschwerdung. Es ist diese Vorstellung, die Erich Grün auch in den Evolutionszyklus einließen läßt, daß nämlich die Gestalt allein noch lange nicht das menschliche Wesen ausmacht. Diese Vorstellung ist natürlich gleichzeitig wieder eine christliche, und so bleibt auch die inhaltliche Verbindung zu den biblischen Zyklen bewahrt.

Zeigt uns der Maler Grün in den Zyklen, so wie sie hier repräsentiert sind, hauptsächlich Anfang und Ende allen Lebens, so kann man sagen, daß uns die Landschaftsbilder, wie die der Visionen, eigentliche Seinsmomente scheinbar unterschiedlichster Art vor Augen führen. Die vorliegenden Landschaftsbilder sind alle, mit Ausnahme von "Walpurgisnacht" (S. 66), in Finnland bzw. Lappland entstanden. In dieser Landschaft, in der die Wälder und Tundren unendlich sind, stößt auch das Auge des Malers nirgendwo auf Grenzen, auch nicht auf Menschen außer auf sich selbst. Es taucht tief ein in die klaren, blauen Farben des nordischen Winters (S. 29), ebenso wie in die warmen Schattierungen zwischen Braun und Grün der Sommerzeit (S. 31). Und immer wieder macht es halt an den Stämmen der Bäume, an Moosen und Flechten (S. 32, 33, 34). Die Strukturen sind jedesmal neu gestaltet. So oft und so intensiv schaut Erich Grün an die gleichen Stellen, bis sich dort für ihn und uns Verwandlungen vollziehen, bis in jedem Astloch die Gesichter von Trollen und Geistern entstehen (S. 35). Diese wiederum scheinen den Maler in eine immer eigenständigere Geisterwelt zu entführen (S. 36-42), die ständig dämonischer und unheimlicher wird (S. 39-42). Mit dieser finnischen Landschaft, so bebaubar für die Phantasie, stellt uns der Maler alle seine existentiellen Momente vor, von vollkommenem innerem Frieden bis zu einem Höchstmaß an emotionaler Anspannung. Also auch da, wo die Aquarelle uns ein Angekommensein des Malers vermitteln, herrscht kein Stillstand. Der nächste Moment wartet schon darauf, den eben erreichten abzulösen.

Was sich bei den Aquarellen aus dem Zusammenhang ergibt, das ist den Ölbildern schon durch ihre Materialeigenschaften immanent. Die aufgetragene Ölfarbe weist immer in eine Richtung. Jeder Pinselstrich dient der Gestaltung und führt gleichzeitig aus dem Bild heraus. Besonders deutlich ist diese Bewegung in "Walpurgisnacht", S. 66, und dem Bild auf S. 68 erkennbar.

So ist also alles, was diesen Maler betrifft, von den Bewegungsabläufen des Lebens-, des Schöpfungszyklus bestimmt. Alles paßt in ein großes Ganzes. Nichts bleibt am Rande liegen. Erich Grün hat ein vollkommen zusammenhängendes Kunstwerk geschaffen. Er ist ein Schöpfer, so alt wie das Leben. Mehr kann man nicht erreichen.

Verfasserin Susanne Kämmerer, Hildesheim

Zufälliges Bild

(ohne Titel)
Nr. 3715
Datiert auf 1969
Aquarell
38,5 x 29,5 (Rahmen: o.PP)


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