Kataloge
Afrikanische Reisen
Die Konfrontation mit neu erschlossenen Landschaften oder historischen Stätten sowie aktuellen Ereignissen kann die bildnerische Welt eines Malers künstlerisch befruchten, wenn seine Sensibilität aktiviert und Vorstellungen, Wünsche, Ängste und Sehnsüchte wachgerufen werden. Diese Impulse gehen wohl von den Erscheinungsformen, den Situationen aus, führen zur schöpferischen Tat und reflektieren im Umformungsprozeß, den entwickelten Ausdrucksmitteln, das Erlebte; der Künstler selbst ist hier das Medium, seine Aufnahme- und Umwandlungsfähigkeit lassen erst die Bildverwirklichung zu. Es ist ein Mysterium, dem Maler wohl anfangs selbst unerklärbar, daß zwischen seiner künstlerischen Welt, seinem Temperament, seinen schöpferischen Sprachmitteln und den ihn bewegenden und aktivierenden Kräften ein Zusammenhang besteht, der sich in seinen Bildern offenbart.
Wie diese Anregungen ihren produktiven Niederschlag finden können, zeigen in mannigfaltiger und deutlicher Weise die Arbeiten Erich Grüns, die auf zwei Reisen nach Afrika - 1964 nach Marokko und 1966 nach Südwestafrika - sowie nachwirkend im Anschluß an seine Reisen in seinem Atelier entstanden sind.
Als Ausgangspunkt der zu einem Zyklus zusammengefaßten Afrikabilder seien zwei Beispiele erwähnt. Während in dem Aquarell "Küste" geschichtete Formen, ein blütenhafter Farbklang die aus der Ebene der Küstenlandschaft aufsteigenden Bergformationen und die an Randzonen und Berghängen blühende Vegetation deutlich machen, beherrscht das zweite ein lebhafter, dichtgedrängter Formenwechsel. Hier liegen Farbformen in aktiven Rottönen im kontrastvollen Nebeneinander mit ebenso spontan eingesetzten Hell-Dunkel-Formen. Im schnellen Zugriff sind Raum, Architektur und Menschen erfaßt: die bunte Betriebsamkeit einer "Straße in Fes".
Mehr noch sollte aber die Reise nach Südwestafrika für die Bildwelt Erich Grüns von entscheidender Bedeutung werden. Diese Reise begann im geographischen Mittelpunkt, der Hauptstadt Windhoek, führte zum Norden nach Namutoni und zur Etoscha-Pfanne, dem zweitgrößten Wildschutzgebiet der Erde, durch die Namib-Wüste an die Küste nach Swakopmund und zum Fishrivercanyon im Süden des Landes.
Unter dem Eindruck des Erlebnisses in der Steppe der Etoscha-Pfanne entsteht eine Reihe von Aquarellen, in denen das Wahrgenommene mit malerischem Elan "niedergeschrieben" wird. Das Aquarell erweist sich hierbei als das geeignetste Mittel, um mit jedem Einsatz der gestalteten Farbe, der kraftvoll gesetzten Linie schnelle Antworten auf Vorgänge zu geben. Jede Phase hat in Reaktion und Umsetzung ihren Ausdrucksgrad erreicht. Eine Reduktion der gestalterischen Mittel sowie eine äußerst malerische Dichte beginnen sich nun abzuzeichnen. In dem Aquarell "Etoscha-Pfanne I" lösen sich weiche, transparente Farbschleier aus der Fläche, suggerieren das flimmernde, alle Konturen, alle Farben fast aufsaugende Sonnenlicht, die dunstige Atmosphäre der weiten Steppe, das gelbweiße, staubige Gras - die unbestimmbare Ferne. In der unteren Zone ballen sich erdfarbene Tonwolken zusammen. In heftiger Geste sind zeichenhafte Andeutungen malerisch hineingeschrieben: sie lassen struppiges Dornengebüsch, verdorrtes Unterholz, aus dem aufgescheuchtes Wild in Wolken von Staub gehüllt ausbricht, ahnen. Die Erde dröhnt dumpf vom wilden Stampfen der Herden. Naturgeschehen in einem Bildstenogramm fixiert.
Wurzelhafte Formen in tiefem Schwarz verspannen sich in dem großen Ölbild "Elefantenpfad". Sie schieben sich in dynamischer Bewegung in den Raum vor, bedrohlich, den raumgreifenden Fangarmen von Polypen gleich. Schwefliggelb blitzt es durch die Verästelungen. Der heftige Wechsel von Durchbruch zu Durchbruch löst Beunruhigung aus. Die Gefahr lauert hinter jeder Wurzelform, ist spürbar in jeder sich in den Raum reckenden, fangarmähnlichen Form. Das ist mit großem Einsatz gemalt, intensiv in Form und Farbe. Der afrikanische Busch in seiner Undurchdringlichkeit, dem verflochtenen Unterholz - ein abschließendes Geflecht der wildwuchernden Vegetation -, voll geheimnisvollen Lebens, voller Rätsel, voller Gefahren. Ein Bild unheimlicher Spannung.
Eine Spannung ganz anderer Auswirkung lastet über der Eingeborenenwerft von Otjiwarongo - eine dumpfe, schwüle Atmosphäre. Schwelendes Rot, hier und da hektisch aufleuchtend. Ansammlung von Blechhütten und Holzbuden, aus Abfällen roh zusammengesetzt. Sie heben sich aus den dichten Farbwolken ab, helle, blechharte Streben, Wände, die sich verschachtelt, verwirrend türmen.
Das malerische Temperament Erich Grüns findet gerade in den ungeheuren Kontrasten - so auch am Waterberg - seinen gemäßen Ausdruck. So werden spontan kompakte Rotwolken gegen die nur schwach nuancierten hellen Tonflächen des Grundes gesetzt, die sich wiederum in kleinen Formensprenkeln in die Rotformationen einschieben. Linien ziehen sich gravierend durch die Farben. Die gewaltige, zerklüftete Felslandschaft - in Urzeiten geformt - erhebt sich wie eine unwirkliche Mauer. Vehement geschrieben verdichten sich Linien bald zu einem Knäuel, bald zu sicher pointiert gesetzten Chiffren: Dornbäume, Bambusstauden, Palmen, dazwischen hell aufblitzendes Silberweiß der Dornbuschzweige - der dem Plateau vorgelagerte Busch. Das Bild einer zeitlosen, unberührten Natur.
Mit dieser Aufzeichnung der künstlerischen Stationen der Reise sollte der weite Bogen der Ausdrucksskala Erich Grüns fixiert werden. Den größten Gewinn erbrachte gerade die Begegnung mit der südwestafrikanischen Landschaft, die in ihrer Struktur größte Gegensätze aufweist, teils kultiviert, teils wildwuchernde Pflanzenwelt, teils wie erstorben wirkend in den vor Jahrtausenden geformten Landstrichen. Mit leidenschaftlicher Hingabe versuchte Erich Grün in diese fremde, geheimnisvolle Natur einzudringen, in seinen Verschlüsselungen zu bannen. Enigmatismus hat er selbst seine Chiffrensprache bezeichnet. Geheimnisvoll und rätselhaft ist seine Bildwelt, reich in ihrer modulierten Sprache. Sie wird sich jedem eröffnen, der sie zu lesen vermag.
Heimar Fischer-Gaaden