Erich Grün - Ich male mein Leben
Einblicke in ein Lebenswerk
Birkenhof Wohnstift Kirchrode, Kühnsstraße 4, 30559
Die Ausstellung war bis zum 22. April 2014 zu sehen.
Veranstalter waren: Birkenhof Wohnstift Kirchrode in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis Erich Grün des Ev.-luth. Stadtkirchenverbandes Hannover
Zur Eröffnung am 20. Jan. 2014 hat Michael Stier diese Einführung gehalten:
Sehr geehrter Herr Sundermann,
haben Sie zunächst sehr herzlichen Dank für die freundliche Begrüßung! Ich danke Ihnen sehr, dass Sie diese Ausstellung der Werke von Erich Grün hier im Birkenhof Wohnstift ermöglichen. Ebenso danke ich Herrn Langkopf, der als Leiter des Wohnstifts Birkenhof mit geplant und geholfen hat. Und besonderer Dank gilt Frau Wildermuth, die uns unermüdlich freundlich unterstützt und jeden Wunsch von den Augen abgelesen hat.
Und schließlich möchte ich Herrn Voigtländer von der Stadtkirchenkanzlei danken, der mit Herrn Franz die Aufhängung der Bilder besorgt hat - auch heute hat besonders Herr Franz schon sehr früh nochmals mit Winkel und Wasserwaage bei der Hängung letzte Hand angelegt. Unter uns ist auch Herr Wacker, der dafür gesorgt hat, dass wir das Contibild ausleihen konnten und der viele der Bilder in seiner Werkstatt sehr kunstvoll gerahmt hat. Vielen Dank!
Sehr geehrte Damen und Herrn,
Sie mögen sich fragen: Wie ist es zu dieser Ausstellung gekommen? Kurz gesagt könnte ich darauf antworten: Erich Grün hat es so gewollt. Das will ich kurz erklären: Ich kannte das Ehepaar Grün viele Jahre und ich bin häufiger eingeladen worden, zu Vernissagen von Erich Grüns Ausstellungen zu sprechen. Erich Grün hatte auch eine besondere Beziehung zu unserer Kirche. Es hat sich zur Verwaltung des Erbes von Erich Grün eine Arbeitsgruppe gebildet. Dieser Arbeitsgruppe gehören an: Stadtsuperintendent Heinemann, sowie Frau Sommer und Herr Hacke vom Stadtkirchenverband und ich. Herr Heinemann kann heute leider nicht dabei sein. Er lässt aber sehr herzlich grüßen!
Und so sehen wir heute Bilder aus dem reichen Schaffen von Erich Grün. Ein Bild haben wir hier für Sie zur Einführung zentral an die Wand gehängt. Vielleicht haben Sie schon vermutet, was es darstellt: Es ist das Conti Hochhaus am Königsworther Platz hier in Hannover.
1953 wurde es durch die Firma Continental errichtet. Es war einmal das höchste Hochhaus in Deutschland. Heute ist es denkmalgeschützt und wird es von der Universität Hannover genutzt. Das Conti Hochhaus, ein Werk, entstanden 1954, das die 50er Jahre sehr anschaulich und treffend darstellt. Groß, ja großartig wirkt es, optimistisch aufragend aus der Zeit der Trümmer und der Entbehrungen.
Die Sachlichkeit der Industrie steht im Vordergrund, die Großstadt mit ihren Möglichkeiten des Wiederaufbaus ist wichtiger als etwa grüne Landschaften. Industrielandschaften garantieren den Wiederaufbau und die prosperierende Zukunft. Dabei ist der Volkswagen kräftig in den Vordergrund gesetzt, das Symbol des Fortschritts. Er war so etwas wie das Objekt der Begierde in jener Zeit. Ein schwungvoller Seitenstrich, die Fensterlinie andeutend, gibt dem schwarzen Auto - die Lieblingsfarbe damals - so etwas wie einen Geschwindigkeitsschub.
Es fuhren erst sehr wenige private PKWs, es war noch die Zeit der Zweiräder. Am Straßenrand stehen verloren zwei kleine Figuren. Sie scheinen im Begriff zu sein, die Straße zu überqueren, denn das ging damals noch problemlos. Eine Ampel oder ein Zebrastreifen - das war bei den wenigen Fahrzeugen noch unnötig. Neben den sachlichen neuen Bauten scheint nur oben in der linken Ecke ein Rest von einer Trümmerlandschaft im Kontrast zum stolzen Conti Hochhaus zu stehen - eine fast überwundene Ära schimmert da hindurch acht Jahre nach dem Krieg. Ein wenig grau wirkt die Welt noch, als habe sie den Staub des Krieges noch nicht abgeschüttelt.
Ich male mein Leben - so ist der Titel dieser Ausstellung. Erich Grün hat mehrere tausend Bilder gemalt und viele Kunstwerke geschaffen. Jeden Tag hat er gearbeitet. Das Malen, das künstlerische Schaffen war sein Leben. Ohne dieses Schaffen wurde er krank an Körper und Seele. Malen war sein Leben - und er malte sein Leben. In jedem Bild ist Erich Grün. Schauen wir auf seinen Lebensweg: Hannover war nicht der Geburtsort von Erich Grün.
Erich Grün wurde am 20. Dezember 1915 in einem sibirischen Internierungslager in Pyschminskoje geboren. Dorthin mussten seine Eltern als Deutsche zu Anfang des 1. Weltkrieges übersiedeln. Über verschiedene Stationen führte sein Weg nach Berlin, wo seine künstlerische Laufbahn mit der Ausbildung an der Reimann-Schule, einem jüdischen Privatinstitut, begann. Bereits nach einem Jahr endete dieser Weg abrupt, als die Reimann-Schule 1933 aus dem nationalsozialistischen Deutschland nach England übersiedelte. Für Grün folgten Lebensabschnitte bei Polizei und Militär. Seine erste Ausbildung hatte er bei Polizei und der Luftwaffe. 1939 wurde Grün zum Kriegsdienst eingezogen, war technischer Inspektor in Rumänien, nahm am Russlandfeldzug teil, bis er wegen der russischen Staatsangehörigkeit seiner Mutter von der Ostfront nach Amsterdam abkommandiert wurde.
Er kam vom Fronturlaub nach Cottbus, seiner Heimatstadt damals, um seine Frau und seine drei Kinder zu besuchen - 9, 6 und 4 Jahre alt waren sie. Er suchte sein Haus und er fand nur Trümmer. Es war kurz zuvor von einer Bombe getroffen worden. Alle waren sie umgekommen: Seine drei Kinder, seine Frau und seine Schwiegermutter.
Dieser Verlust blieb für sein Leben bestimmend. Er wollte nie wieder heiraten. Er heiratete dann doch sehr spät Oda Keitel-Grün. Kinder - das kam für die beiden nicht in Frage. Zu sehr belastete ihn der Tod seiner ersten Familie.
Er blieb ein Streiter mit Gott. Warum hatte er das zugelassen? Über Religion konnte man kaum mit ihm reden, dennoch hat er sein Werk dem Stadtkirchenverband geschenkt. Zu einzelnen Vertretern der Kirche hatte er Vertrauen, schätzte auch die Arbeit der Kirchengemeinde. Oft hat er kirchlichen Einrichtungen besonders seine biblischen Bilder zur Ausstellungen überlassen. Das sind besonders die Bilder mi dem Zyklus "Elias". Oft gezeigt werden die drei Zyklen zum Alten Testament, dem Neuen Testament und zur Schöpfung. Manches ist auch rätselhaft.
Am Eingang unserer Ausstellung ist ein Troll zu sehen, eine Holzplastik. Auf dessen Rückseite aber hat Christian Hacke die Aufschrift "Elais" gesehen. Diesem Propheten fühlte er sich besonders nahe - in seiner Verzweiflung, seiner Trauer und seiner Einsamkeit. Diese Gestalt am Eingang kann also auch mahnend gemeint sein - oder wie ein Stoppzeichen: Halt! Elias hat uns Wichtiges zu sagen!
Nach Krieg und Gefangenschaft widmete sich der Heimkehrer erneut der Kunst. Dem Studium an der Werkkunstschule Hannover folgten die Berufstätigkeit als Lehrer am Gymnasium sowie ein Lehrauftrag an der Werkkunstschule. Er war ein besonders beliebter Lehrer. Einer seiner Schüler ist heute unter uns, der ebenfalls Maler geworden ist. Zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland dokumentieren das außergewöhnliche künstlerische Schaffen Erich Grüns. Er hat zahlreiche Ehrungen und Preise erhalten. Sie sind nachzulesen in den ausliegenden Katalogen.
Erich Grün verstarb im Jahr2009 im Alter von 94 Jahren. Wenn er auch kein Hannoveraner war, so war er froh und auch stolz nach schlimmer Erfahrungen in dieser Stadt angekommen zu sein. Diesen Stolz merken wir auch diesem Ölgemälde des Conti Hochhauses an, das schon vom Format eine große Ausnahme, ein großes Gewicht in seinem Werk aufzeigt.
Schauen wir auf Erich Grüns Arbeitsweise, seinen künstlerischen Stil: Er ist nachhaltig beeinflusst von einem seiner beiden Lehrer an der Werkkunstschule in Hannover: Es sind Erich Rhein und Adolf Vogel. Adolf Vogel war ein Maler im Spannungsfeld zwischen Expressionismus und Neuer Sachlichkeit. Er lehrte Komposition. Von ihm sagt Erich Grün: "Er baute seine Bilder streng und sorgte für Ausgewogenheit der Farben und Flächen. Mir lag Rhein sehr, der uns Schülern viel Freiheit ließ." Grüns Bilder sind von Techniken geprägt, die ihn Rhein gelehrt hat.
Er setzt Farbflecke, lässt die Farbe fließen und ineinander laufen, dreht und schwenkt den Bildträger und sieht sich an, wie aus dem Prozess die Form entsteht. Er arbeitet mit Wachsstücken auf einer heißen Metallunterlage, bis das Wachs schmilzt und die einzelnen Farbflecke sich vermischen. Folgerichtig liebt er Techniken wie Enkaustik oder das Aquarell, dessen Farben sich auf nassem und oft zusätzlich geknittertem Papier verselbständigen und in weichen Übergängen vom Zufall geschaffene Formen ausbilden. Schließlich werden die Texturen der Formen durch Betupfen mit Tüchern, Schwämmen, Bürsten und anderem "gefundenen" Material verändert und so zur erfundenen Form.
So finden sich viele Stilformen im Werk von Erich Grün. Sie werden die frühen Bilder aus den 50er Jahren ausfindig machen in ihrer strengen Schlichtheit und flächigen Farben, Sie werden die genialen späten Bilder erkennen und ihrem meisterlichen Umgang mit Farben. Ja, schauen wir auf die Arbeit mit Farben bei Erich Grün. Dazu möchte ich eine kleine Begebenheit erzählen:
Der Maler Franz Marc, der 1916 im 1. Weltkrieg fiel, war und ist berühmt für seine herrlichen Farben. Ein gelber Stier, rote Katzen, blaue Pferde - sicher haben Sie seine Bilder schon manches Mal gesehen. Auf einer Ausstellung war eine Besucherin beim Anblick seiner Bilder sehr aufgeregt und sprach ihn an: "Blaue Pferde - gibt es doch gar nicht. Das ist gar kein Pferd, es kann doch gar kein Pferd sein." - "Ja", stimmte Franz Marc zu, "das ist auch kein Pferd. Es ist ein Bild!"
Diese Begebenheit im Leben von Franz Marc ist berühmt geworden, denn sie macht deutlich, was Kunst eigentlich ist: Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar. (Paul Klee) Ich will das erläutern an dem Selbstportrait von Erich Grün. Sie finden es auf der Einladung, sozusagen als Thema, als Motto unserer Ausstellung. Schauen wir einmal gemeinsam darauf:
Seine Augen sind humorvoll zusammengekniffen. Sein Kopf ist ein wenig stolz erhoben. Sein Mund ist geschlossen, scheint aber viel zu sagen zu haben. Die Lippen sind nicht streng, sie sind voll und lebenszugewandt. Zwei Farben sind dominierend: Das lebensfrohe, lebensbejahende Grün des Hintergrunds, und immer wieder Orange. Diese Farbe wirkt fast unnatürlich - wie ein blaues Pferd. Doch das Orange will den Charakter, die Persönlichkeit von Erich Grün deutlich machen: Die Farbe Orange gilt als Farbe der Geselligkeit, der Lebensfreude, des Vergnügens.
Mit Orange werden Licht oder Wärme assoziiert. Es ist eine Farbe der Energie und der Aktivität. Der griechische Gott Dionyssios - als Gott des Weines und des weltlichen Vergnügens - trägt ein orangefarbenes Gewand. Ein Bild des Gottes Dionyssios ist auch in dieser Ausstellung zu sehen. Das mag daran erinnern, dass Erich Grün auch ein Glas Wein schätzte. Als Lehrer im Bismarckgymnasium in Hannover brachte er ganz besonders die Sprache der Farben den Schülerinnen und Schülern nahe. Das haben wir an ihm geschätzt, das haben wir gelernt, so sagen sie. Oft hat er sie auch in seine große Wohnung in der Wedekind Straße eingeladen, die Erwachsenen unter ihnen auch zu einem Glas Wein. Ja, seine Schüler haben ihn verehrt.
Wenn Sie also gleich durch die Ausstellung gehen, so werden Sie weitere Entdeckungen machen: Das üppige Blau mancher Landschaften, die roten Haare des kleinen fliegenden Amor, immer wieder Grün und Rot wie auf dem Selbstbildnis … Und Sie werden sich fragen: Was macht Kunst hier sichtbar? Sie werden dafür selbst ein Gespür haben und Antworten finden. Auch ich verehre Erich Grün, ich freue mich, wenn diese Ausstellung ihnen diesen Maler nahe bringen kann.
Ich wünsche Ihnen viel Freude an Erfahrungen mit Erich Grün!